Projekt Re-Cycle Gravelbike 200

Gravelbiken ist Trend! Die Verkäufe von Gravelbikes nehmen – neben denen von E-bikes – stark zu. Der Trend geht so weit, dass viele Bekleidungshersteller sogar „Gravel Kollektionen“ anbieten. Nahezu alle Zeitschriften und Online Magazine vergleichen die neusten Gravelbikes. Zwischen 1500 und 2500 Euro bekommt man ein sehr ordentliches Rad. Hydraulische Scheibenbremsen sind Standard. Bei den Schaltgruppen kann man wählen zwischen einem und zwei Kettenblättern und die Laufradsätze sind meist tubeless-tauglich. So ausgerüstet kann man mit Freude und Rennlenker über Feldwege, teils sogar flowige Trails düsen.

Was aber, wenn man keine 1500 Euro oder mehr für ein modernes Gravelbike übrig hat oder ausgeben möchte?

 „Projekt Gravelbike 200“

Als wir neulich auf Feldwegen unterwegs waren und ich das Trek Checkpoint ALR 5 angeschaut habe kam mir die Idee ein  „Gravelbike“  für ein Zehntel des Preises, also mit einem Budget von 200 Euro auf die Räder zu stellen.

Nach ausführlichem Studium einiger historischer Mountainbike-Kataloge kam ich auf die Trekkingbikes der 90er. Diese haben mit den modernen Gravelbikes mehr gemeinsam als man denkt. Laufradgrössen von 28 Zoll, Reifenfreiheit bis 40mm und darüber hinaus. Lenkwinkel um 71.5° (Checkpoint Gr.54: 71.8°) und Sitzwinkel von ca. 73° (73.5°) kommen doch bekannt vor. Schöne Aluminium- oder Stahlrahmen erfreuen das Auge. Die Kettenstreben- längen sind ähnlich und liegen mit um 430mm im Bereich des aktuellen Cannondale Topstones (Trek Checkpoint 425mm).

Natürlich gibt es hier keine 1×11 Antriebe sondern 3×7 oder 3×8. Und natürlich sind die Felgen nicht tubeless-tauglich. Es gibt Canties statt Scheibe. Aber verhindert das den Spass am Rennradfahren abseits asphaltierter Strassen?

Wir wollen es ausprobieren. Ich mache mich auf die Suche nach einem preisgünstigen Trekkinrad und wir planen bereits die Gravel-Test-Tour…

Das Rad

The „Granny-of-Gravel“, Trek Multitrack 730

In einem bekannten Kleinanzeigenportal fand ich ein ordentliches Trek Multitrack 730 (wahrscheinlich aus dem Jahr 1996) in wunderschönem dunkelgrün-metallic. Die Rahmengrösse von 21 Zoll entspricht etwa meiner Rennradrahmenhöhe. Das Rad hat einen Trekkinglenker mit steilen Vorbau, einen Shimano Alivio 3×7 Antrieb und Cantileverbremsen. Der Vorteil der Canties gegenüber V-Brakes ist die Kompatibilität mit Rennradbremshebeln. Kostenpunkt: 45€ !

 

Nachdem ich den hübsch klassischen Stahlrahmen von einigem unnützen Anbauten befreit habe sieht man ihm seine sportliche Zukunft schon ein bisschen an.
Das drum und das Dran

Beute einer Jagd im Kleinanzeigenportal war ein Vorbau für 6€. Den guten gebrauchten Lenker von ITM gab es im Tausch gegen einige Nussgipfli (ca. 20€) – wir befinden uns in der Schweiz – in Gilis Veloladen. Die Schaftdicke des Vorbaus ist mit 22.2mm (7/8 Zoll) für heutige Verhältnisse geradezu zart. Dazu Lenkerband für 5.90€. Rennrad STIs für 3x7er Antriebe scheinen seltener zu sein.  Für ein Paar mit leichten Kratzern musste ich – im selben Kleinanzeigenportal – budgetstrapazierende 45€ hinlegen.

Felgen und Gravelreifen – das Maul zu voll genommen ?

Nun soll das gute Stück noch moderne, etwas breitere Reifen bekommen. Einen schönen Test aktueller Gravelreifen kann man bei Granfondo-Cycling nachzulesen. Ich habe mich für den Schwalbe G One Allround Performance in 40-622 entschieden. Der ist im Versandhandel für 24.90€ zu bekommen. Die hübschere Version mit Tan Wall oder auch der sehr gut getestete WTB Resolute schlagen mit deutlich mehr zu buche – das gibt das Budget nicht her… Extraleichte Schläuche (5.90/Stück) sollen helfen die rotierende Masse zu verringern und so die ein wenig zu verbessern – hoffentlich ohne all zu viele Pannen.

Bei der Montage bin ich einigermassen über die geringe Maulweite der Felgen von rund 13-14mm überrascht. Bei zuvor montierten 37er Reifen hatte ich breitere Felgen erwartet. Hält man sich an die Regel als maximale Reifenbreite die 2.5 fache Maulweite zu verwenden wären 35mm breite Reifen die Obergrenze. Nachgemessen zeigt sich, dass die Trek Reifen tatsächlich zwar 37 heissen aber nur rund 35mm breit ausfallen.

Ich habe die Schwalbe G-One trotzdem montiert, sie sitzen schön stramm. Eventuell macht es Sinn im Verlauf die Räder auf Felgen mit 19er Maulweite umzuspeichen. 17€ sind ja noch übrig. Einen Sattel, einen Flaschenhalter sowie ein paar Aussenhüllen und Schaltzüge habe ich noch im Keller gefunden.


Fertig für die erste Ausfahrt…
Gravelbike 200 – das Resultat

182.69 Euro um genau zu sein.
So hätte sicherlich ein knackiger Gravelracer in den 90ern ausgesehen. Optisch kann das Rad mit seinen jüngeren Pendants doch wohl durchaus mithalten. Besonders, wenn der dunkelgrüsse Lack in der Herbstsonne schimmert.


Das 2019er Trek Checkpoint ALR 5 und sozusagen die Grossmutter des Gravelbikes, Trek Multitrack von ca. 1996
Und Fahrtechnisch?

Es rollt! Ruhig und schön satt liegt das Multitrack auf Asphalt und Schotterwegen. Durch die breiteren Reifen ist sogar so etwas wie Komfort spürbar. Es lässt sich recht ordentlich beschleunigen. Nicht so rasant wie ein Rennrad und auch nicht so zackig wie das Checkpoint, aber nach meinem Empfinden durchaus gut. Der altertümliche 3×7 Antrieb hat mich dabei nicht gestört. Allein auf dem mittleren Kettenblatt reicht die Übersetzungsbreite der 7 Ritzel für entspanntes cruisen auf ebener Strecke und leicht bergauf. Bergab bietet das grosse Kettenblatt ausreichend Spiel für zügige Geschwindigkeiten und auf dem kleinen Kettenblatt wird es auch bergauf nie zu steil.

Auf dem Checkpoint sitzt man etwas aufrechter.  Durch die moderne Sitzposition und vor allem durch die hydraulischen Scheibenbremsen der 105er Gruppe punktet das Checkpoint natürlich besonders auf längeren und steileren Abfahrten. Mit seinem kurzen Steuerrohr und den geringen Stack des Rahmens erfreut das Multitrack dafür durch eine eher sportliche aber nicht unangenehme Sitzposition. Ich musste bergab aber doch beherzt in die Bremsen greifen. Seit der Verwendung von Scheibenbremsen ist das etwas ungewohnt.  Die STIs in Verbindung mit den alten Canties haben einen eher weichen Druckpunkt, sind so jedoch gut zu dosieren. Entscheidend ist bei trockenem Wetter natürlich auch der Grip der Reifen und die Beschaffenheit des Untergrundes.

Die Gravel Tour – Taminatal und Kunkelspass

Für die erste Ausfahrt haben wir uns eine Tour mit Teer und Schotter, bergauf und bergab ausgesucht.
Von Bad Ragaz aus führen kleine, teils unbefestigte  Strassen und  Feldwege über Pfäfers und den Kunkels Pass nach Tamins. Die Strecke bietet grandiose Aussichten auf die Taminaschlucht und -brücke, Hochgebirgsfeeling und einen in den Fels geschlagenen Tunnel als Highlights. Da die Strecke parallel zum St.Galler Rheintal läuft ist sie sehr wenig befahren.

 

Mehr Bilder und eine ausführliche Beschreibung der Tour findet Ihr auf

bikesophy.com

 

Ein Gravelbike für 200 Euro  –  Fazit

Man bekommt kein neues, modernes Gravelbike für 200 Euro. Mir hat der Umbau des alten Trek aber sehr viel Freude gemacht. Besonders, da ich das selbst gesteckte Budget von 200€ einhalten konnte. Die erste Ausfahrt war klasse. Das alte Trek fährt sich wirklich gut. Es lässt sich sehr gut steuern, ist durchaus agil bei angenehmer Spurtreue und man kann es damit durchaus ein bisschen fliegen lassen. Und es ist sogar noch Luft nach oben. Die Lenkerposition (etwas nach unten)  und die Position der STIs (etwas nach oben) lassen sich noch optimieren. Den 100mm Vorbau werde ich gegen einen 60 oder 70 mm Vorbau tauschen und so eine etwas aufrechtere Sitzposition erreichen. Wenn die alten Bremsbeläge runtergebremst sind werde ich mal welche z.B. von Kool Stop versuchen. Vielleicht verbessert sich die Bremsleistung noch ein wenig.

Es  wird für mich definitiv nicht bei dieser einen Probetour bleiben. Das Trek wird an trockenen und sonnigen Tagen sicherlich zum Einsatz kommen. Es fühlt sich an, wie langsames Rennradfahren nahe an der Natur. Strecken über Forstwege und Waldautobahnen, die mit dem Mountainbike zu langweilig geworden sind, werden nun wieder interessant. Durch geringere Geschwindigkeit und weniger Fahrtwind bietet sich Gravelbiken in meinen Augen besonders jetzt im Herbst an, wenn es etwas kühler wird.

Wenn man ein bisschen Zeit hat, 200 Euro übrig und Lust zu schrauben, dann ist ein „New-Old-Gravelbike“ doch ein  nettes und vor allem nachhaltiges Projekt. Und auch Scott, Cannondale, Specialized etc. haben in den Neunzigern schöne Trekkingräder gebaut.

Wer Lust hat macht mit…

Der Re-Cycle Gravel 200 Club
  • Das Budget liegt bei 200 Euro.
  • Kleinteile, aus dem Keller verwenden
  • Beitreten in den Strava Re-Cycle Gravel 200 Club
  • Ab auf die Feldwege, rumdüsen und freuen…

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